Literatur zum Heftthema
Isolde Kurzmann-Penz
Zur literarischen Fiktion von Kindheit
Überlegungen zu den apokryphen Kindheitsevangelien Jesu im Rahmen der antiken Biographie (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge, Band 66)
Stuttgart 2018 (Franz Steiner Verlag) 2018
232 S., € 54,00, ISBN 978-3-515-12152-1
Ausgehend von der These, dass das Protevangelium des Jakobus und das Kindheitsevangelium des Thomas als biographische Texte der Antike zu bezeichnen sind, geht Isolde Kurzmann-Penz in ihrer Publikation den Fragen nach, inwiefern eine Abhängigkeit der apokryphen Kindheitsschilderungen Jesu in den apokryphen Evangelien von den Kindheitsdarstellungen in der griechisch-lateinischen Biographie nachgewiesen werden könne und welche Topoi zur Konstruktion von Kindheit verwendet würden (13f.). »Durch den tabellarischen Vergleich der vorkommenden Topoi mit jenen, die in den Texten der Zweiten Sophistik, der jüdischen Literatur, dem Alten und Neuen Testament samt den dazugehörigen Apokryphen und den Feldherrn-, Kaiser-, Dichter- und Gelehrtenbiographien beheimatet sind, soll die Frage nach der Abhängigkeit bzw. Herkunft der in den Apokryphen verwendeten Motive beantwortet werden.« (14f.) Die Autorin richtet den Fokus ihrer Arbeit dabei »auf Motivwanderungen vom biographischen Schaffen auf die apokryphen Kindheitsevangelien des zweiten Jahrhunderts« (15).
Nach einem ersten einleitenden Kapitel, in dem die Autorin auch auf den bisherigen Forschungsstand eingeht und die Verwendung des Begriffs »Topos« und sein Verständnis als Allgemeinplatz erläutert, widmet sie sich im zweiten Kapitel der Darstellung von Kindheit in biographischen Texten. Nach Isolde Kurzmann-Penz können folgende Topoi als konstitutiv für die Konstruktion von Kindheit in biographischen Texten bezeichnet werden (57ff.): wundersame Empfängnis und Gottessohnschaft, schmerzfreie Geburt, noble Abstammung, Träume vor oder nach der Geburt, Geburt an außergewöhnlichen Orten, Erwähnung elterlicher Vermögensverhältnisse, Projizierung späterer Macht, Eigenschaften bzw. Fähigkeiten in die Kindheit, Rettungs- bzw. Schutzfunktion von Tieren, Wahrnehmung außergewöhnlicher Himmelsphänomene, Gefährdung und anschließende Rettung des Kindes, Nennung kindlicher Schönheit, Kind als puer senex, Erwähnung von Episoden, die das Kind als ungezogen erscheinen lassen.
Im dritten Kapitel setzt sie sich mit den apokryphen Kindheitsevangelien Jesu auseinander, insbesondere mit dem Protevangelium des Jakobus (Protev) und dem Kindheitsevangelium des Thomas (KThom) als apokryphen Kindheitsevangelien des zweiten Jahrhunderts n. Chr., während das umfangreiche vierte Kapitel die »Construction of childhood im Sinne der antiken Biographie« zum Inhalt hat. Hier stellt die Autorin folgende Topoi mit Bezug zu den Kindheitsevangelien heraus (183): statische Persönlichkeit (KThom), Gottessöhne/jungfräuliche Geburt (Protev), Höhle als Ort der Geburt (Protev), Lichtphänomene um das Kind (Protev), Stern (Protev), puer senex (Protev, KThom), das schwierige/schlimme Kind (KThom), Traummotiv (Protev), Gefährdung des erwählten Kindes (Protev) und Abstammung und Vermögensverhältnisse (Protev). »Das Protevangelium des Jakobus ist trotz einer freien Verwendung übernommener Motive einerseits stark an biblischen Inhalten orientiert«, wie Isolde Kurzmann-Penz betont, »andererseits ist eine große Nähe zur Biographie des 2. Jh. unverkennbar. Dabei kann […] eine leichte Tendenz zur Herrscherbiographie festgestellt werden […]. In einem wesentlichen Punkt, jenem der göttlichen Herkunft, folgt der Text jedoch eher der Philosophenbiographie. […] Es ist dem Protev demnach ein zentrales Anliegen, die Gottessohnschaft bzw. die Göttlichkeit Jesu aufzuzeigen. […] Das Kindheitsevangelium des Thomas hingegen nimmt stark Anleihen an mythologischen Stoffen, die Streiche göttlicher Kinder thematisieren und auch in Texten der Zweiten Sophistik aufgenommen wurden.« (184)
Das fünfte Kapitel schließt eine Motivanalyse in den späteren Kindheitsevangelien an und stellt weitere Topoi vor: die sich neigende Palme und die entspringende Quelle, einstürzende Götterbilder, sprechende Neugeborene, Tiere und messianischer Frieden sowie wundertätiges Badewasser und die Windeln Jesu. Ein Resümee, ein Quellen- und Literatur- sowie Abkürzungsverzeichnis runden die Arbeit ab.
In ihrem Resümee hebt die Autorin hervor, dass sich die beiden überlieferten frühen Kindheitsevangelien inhaltlich ergänzten und gemeinsam beinahe all jene Elemente enthielten, die antike Kindheitsdarstellungen in biographischen Texten ausmachten. Es fehlten nur Verweise auf die für die römische Obersicht so typische Erwähnung einer Patchworkfamilie bzw. Nennung einer Adoption oder eines Halbwaisenkindes sowie Bezugnahmen auf die Schönheit des Kindes. Dieser für die antiken Kindheitsschilderungen so wichtige Topos spielte keinerlei Rolle. »Während Protev die Empfängnis und jungfräuliche Geburt inmitten zahlreicher Wunder schildert, gibt KThom die Ereignisse im Leben des Jesuskindes wieder, an dem weder äußere Alterungsprozesse noch innere Entwicklungen feststellbar sind. Man könnte durchaus Protev und KThom nacheinander lesen und würde dann ein ganzheitliches Bild der Kindheit Jesu erhalten, das sich von der Vorgeschichte über die Geburt und die Kindheitstaten bis zum Zwölfjährigen im Tempel spannt.« (204) Das Kindheitsevangelium des Thomas und das Protevangelium des Jakobus hätten somit für die Darstellung der Kindheit Jesu in unterschiedlicher Intensität auf Topoi antiker biographischer Kindheitsdarstellungen zurückgegriffen und »Kindheitsdarstellungen ganz eigener Art geschaffen, die in einzigartiger Weise Zeugnis ablegen von der steigenden Bedeutung der Kindheit im 2. Jh. sowie von der Verschmelzung frühchristlicher und antiker Vorstellungen biografischer Kindheitsbeschreibungen.« (206)
Isolde Kurzmann-Penz legt eine lesenswerte Arbeit vor, die zahlreiche Anregungen für die Auseinandersetzung mit den Topoi antiker biographischer Kindheitsdarstellungen sowie den apokryphen Kindheitsevangelien Jesu enthält.
Elena Nendza
Der Bethlehemitische Kindermord in den Künsten der Frühen Neuzeit
Studien zu intermedialen und interkonfessionellen Popularisierungen und Austauschprozessen
(Frühe Neuzeit; Bd. 233)
Berlin/Boston (De Gruyter Verlag) 2020
490 S., € 164,95, ISBN 978-3-11-069094-1
Elena Nenzda befasst sich in ihrer Publikation mit der Kulturgeschichte der legendarischen Erzählung des betlehemitischen Kindermordes, in der Herodes d. Gr. als grausamer Antikönig gegenüber dem Messias Jesus stilisiert wird (Mt 2,16–18). Die Autorin bezieht sich dabei auf das geistliche Epos »La Strage degli Innocenti« (Das Gemetzel der Unschuldigen) von Giambattista Martino (1569–1625; einflussreichster Dichter der italienischen Barockzeit) und seine Übersetzung durch den protestantischen Hamburger Dichter und Ratsherrn Barthold Hinrich Brockes (1680–1740) zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter dem Titel »Verdeutschter Bethlehemitischer Kinder-Mord«. Wie die Autorin in ihrer Einleitung hervorhebt, hätte Martino die düstere Bibelepisode in eine affektive Dramatisierung überführt und den geistlichen Originalplot um neue Szenen und Figuren erweitert: »Das geistliche Epos beginnt mit der Schilderung des rachsüchtigen, antichristlichen Höllenfürsten Luzifer, der aus Wut über seine Verbannung aus dem Himmelreich die personifizierte Grausamkeit auf die Erde schickt, um König Herodes vor dem Verlust seines Königreiches durch den jüngst geborenen Sohn Gottes zu warnen. Nach einer langen Rechtfertigungsrede vor seinen Räten erteilt Herodes schließlich aus Angst vor seinem Machtverlust den Befehl zum Mord an allen Knaben unter zwei Jahren. Es folgen kunstvoll inszenierte Beschreibungen des Gemetzels, die über die Hälfte des 3320 Verse umfassenden Epos einnehmen und von den zutiefst erschütternden Klagen der Mütter begleitet sind. Doch endet die Geschichte mit dem glücklichen Aufstieg der grausam ermordeten Kinder in den Limbus, wo sie schließlich als Märtyrer in den Schoß Gottes gelangen.« (2f.)
Die von dem Paradigma der Trans- und Interkonfessionalität geleitete Untersuchung berücksichtigt nicht nur die innerkirchliche Rezeptionsgeschichte der legendarischen Erzählung vom betlehemitischen Kindermord, sondern auch die entsprechende Rezeption in der Malerei und Musik sowie in den unterschiedlichen literarischen Gattungen des 16. und 17. Jahrhunderts und bietet darin zahlreiche Anregungen für eine rezeptionsgeschichtliche Auseinandersetzung.
PD Dr. Matthias Blum, Berlin
Annette Jantzen
Das Kind in der Krippe
Die Weihnachtsbotschaft – entstaubt, durchgelüftet, neuentdeckt
Freiburg (Herder Verlag) 2024
144 S., € 18,00, ISBN 978-3-451-39887-2
Die Autorin liest die biblischen Erzählungen vor dem Hintergrund des Ersten Testaments und bringt sie mit einer frischen Sprache neu zum Leuchten. Wichtig ist ihr, dass Menschen erzählende Wesen sind und lernen, diese Seite an sich und an der Bibel neu zu entdecken. Die Wahrheit der biblischen Glaubenserzählungen kann dann entdeckt werden: Jesus ist »Mensch-von-Gott« und »Mensch-auf-Gott-hin«. Das Buch ist druckfrisch auf dem Markt, unbedingte Kauf- und Leseempfehlung!
Bettina Eltrop
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