Literatur zum Heftthema
Regelmäßig erschienen in den letzten Jahren wissenschaftliche Tagungsbände oder Sammelbände zur Entstehung des Pentateuchs. Dagegen fehlt allgemeinverständliche neuere Literatur weitgehend. In dieser Bücherschau sollen daher nur zwei Neuerscheinungen exemplarisch vorgestellt werden. Wenn Sie auf unserem Internetportal www.biblische-buecherschau.de das Stichwort »Entstehung des Pentateuchs« eingeben, finden Sie weitere Buchvorstellungen.
Rainer Albertz
Pentateuchstudien.
Herausgegeben von Jakob Wöhrle
(FAT 117)
Tübingen (Mohr Siebeck) 2018
542 S., 149,00 €
ISBN 978-3-1615-3705-9
Unter den Alttestamentler:innen, welche ihre Forschungstätigkeit hauptsächlich der Bestimmung von Modellen zur Entstehung des Pentateuchs gewidmet haben, ist Rainer Albertz einer der ganz Großen.
Sein zweibändiger Exodus-Kommentar (Zürcher Bibelkommentare. Altes Testament Ex 19–50 in 2015 bzw. Ex 1–18 in 2017) gilt bereits als ein Standardwerk der Forschung. Durch die jahrzehntelange Beschäftigung mit dem Buch Exodus hat Albertz eine ganze Reihe von Beiträgen zu Fragen nach Struktur, Komposition und Redaktion des Pentateuchs veröffentlicht. Der vorliegende Band versammelt 21 solcher Studien, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind. Acht von ihnen sind nun zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt und überarbeitet worden, fünf weitere sind Erstveröffentlichungen.
Gesamtmodelle zur Entstehung des Pentateuchs vorzuschlagen ist zu einer zunehmend schwierigeren Aufgabe geworden. Es wurden dekonstruktivistische Hypothesen gegen das klassische Quellenmodell entwickelt, doch abgesehen von einem Konsens über die Annahme einer priesterlichen Schicht ist keine wirkliche Einigkeit in Sicht. Viele Forscher:innen konzentrieren ihre Aufmerksamkeit deshalb auf Detailbeobachtungen und Einzeluntersuchungen. Dagegen nimmt Albertz in seiner Arbeit weitgehend den gesamten Textkorpus von Pentateuch und Hexateuch in den Blick.
Ausgehend von den ersten Einzelüberlieferungen, die er in die frühstaatliche Zeit Israels datiert, entwickelt Albertz ein Kompositionsmodell, das bis in die fertige Gestalt des Pentateuchs zu persischer Zeit reicht. Er liefert damit zwar einen komplexen, aber auch nachvollziehbaren Ansatz, der in seiner Ausführlichkeit und Tiefe ansonsten bei niemanden zu finden ist. Dabei bezieht er die vorangegangene Forschung mit ein und ist einerseits um Differenzierung, andererseits um Synthese bemüht. Albertz versucht ein schulübergreifendes Modell zu entwickeln, das nicht nur anschluss- sondern auch konsensfähig ist. Am Ende ist der Vorschlag komplex, die Faszination des einfacheren älteren Quellen-Modells hat er aber nicht wirklich.
Der vorliegende Band systematisiert ganz unterschiedliche Beiträge, die sich mit der Forschungsgeschichte, mit dem Übergang zwischen Genesis und Exodus, mit den nicht-priesterlichen Exodus-Texten, mit der priesterlichen Komposition des Textkorpus Genesis-Levitikus, mit dem Buch Numeri, mit dem Buch Deuteronomium und mit hermeneutischen Überlegungen zur Identifikation von Redaktionsschichten und Textzuweisungen befassen. Im letzten Beitrag präsentiert Albertz schließlich ein großes Gesamtmodell, das sowohl die entstehungsgeschichtliche Eigenständigkeit der Überlieferungen von Ur- und Vätergeschichte und der Exoduserzählungen berücksichtigt, als auch die Annahme einer übergreifenden Hexateuchredaktion und die Ausdifferenzierungen in mindestens drei priesterliche Bearbeitungen einschließt.
Die Komplexität der Argumentation für die Zuweisung einzelner Textpassagen zu ihren jeweiligen Schichten darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gesamtmodell eben nicht von Detailuntersuchungen lebt, sondern vom Geist eines konsensorientierten Gesamtbildes. Dieses Bild wird am Ende des Buches in einem sehr interessanten Schaubild zusammengefasst, das auch für Nicht-Fachleute durchaus verständlich ist.
Von vorexilischen Erzählkomplexen (– Gen 2–11*; – drei unterschiedliche Vätererzählungen; – eine Urfassung der Exoduserzählung, – die Ursammlungen von Gesetzen in Lev und Dtn) entwickelte sich in einem mehrstufigen Prozess (– zwei vorexilische Editionen der Vätergeschichte; – eine exilische Exoduskomposition und -redaktion; – eine erste priesterliche Revision gleichzeitig mit einem an Salbungsprozessen interessierten Priesterredaktor am Ende des 6. Jh.; – eine zweite priesterliche Redaktion am Beginn des 5. Jh.; – eine Redaktion der Urgeschichte in persischer Zeit; – eine spätdeuteronomistische Redaktion in der Mitte des 5. Jh.; – eine dritte priesterliche Redaktion zur Zeit von Nehemia; – eine »Engel«-Redaktion im späten 5. Jh., die gleichzeitig mit einer Hexateuchredaktion erfolgte; – zwei weitere priesterliche Redaktionen, die identisch mit der Pentateuchendredaktion sind; – eine mögliche nicht-priesterliche Redaktion) der finale Text, der von einer Endredaktion im frühen 4. Jh., in die auch eine priesterliche Adaption des Buches Josua und einige chronistische Ergänzungen hineinfließen, in der heutigen Form endgültig besiegelt wird.
Ob dieses Modell konsensfähig ist – wie es sich Albertz in einer Einführung wünscht – wird sich in den nächsten Jahren noch zeigen. Es ist jedoch zumindest ein solcher Versuch und bietet eine spannende Basis für einen breiten Dialog.
Simone Paganini
Shimon Gesundheit / Reinhard Gregor Kratz / Hans-Christoph Aurin /
Till Magnus Steiner
Benno Jacob. Studien zur Thora
Stuttgart (Calwer Verlag) 2021
446 S., 70,00 €
ISBN 978-7668-4507-8
Arbeiten zur Forschungsgeschichte der Exegese haben aktuell Konjunktur, besonders im deutschsprachigen Raum. Die Arbeiten am vorliegenden Band zu den Torastudien Benno Jacobs reihen sich hier ein und wurden aus einer sowohl christlich-jüdischen als auch deutsch-israelischen Kooperation primär von vier Männern herausgegeben. Der Band ist hoffentlich der erste Band einer Reihe, die neben den umfangreichen Kommentaren und (-fragmenten) nun auch das Gesamtwerk Benno Jacobs in den Blick nehmen.
Der Band gliedert sich in Hinführung, sechs Beiträge mit Einleitungen und ein ausführliches Literatur- und Schriftstellenverzeichnis inkl. Apokryphen/Deuterokanonika und Neuem Testament (405–446). Die Transkripte reichen von einer kürzeren Stellungnahme bis zu über 70-seitigen Abhandlungen über Num 32 (99–169), Quellenkritik (183–267) und die Verwendung der Gottesnamen (287–369).
Zu Beginn gibt es eine kurze Danksagung, gefolgt von der Hinführung (9–18). In ihr wechseln kurze biographische Notizen mit Bemerkungen zum Werk Jacobs mit Fokus auf Pentateuchforschung. Abschließend wird eine kleine Anleitung zum Lesen der Transkriptedition gegeben (18–19). Jedem der sechs Transkripte wird eine ausführliche Einleitung an die Seite gestellt. Diese umfassen mindestens zehn Seiten und gliedern sich in die Darstellung der Argumentationslinie Jacobs, die Einordnung in den Kontext von Zeit und Werk Benno Jacobs sowie Bemerkungen zur gegenwärtigen Bedeutung des Textes (17). In den Transkripten selbst gibt es je einen ausführlichen und hervorragend gearbeiteten Anmerkungsapparat in den Fußnoten (durch Buchstaben von den Fußnoten Jacobs unterscheidbar).
Die Einleitungen ermöglichen, den Wert von Jacobs Forschungen für die diachrone Pentateuchforschung besser einzuschätzen und entnehmen ihr einige Impulse. Würdigend wird etwa bemerkt, dass Jacob Probleme der Rolle der Redaktion für die Deutung des Textes prognostiziert hat, die sich dann in der Krise der 1970er Jahre als wahr erweisen sollten oder die Bedeutung seines philologischen Gespürs für Motive und diachrone Fragestellungen. Am Rande behandelt werden auch bibeltheologische Themen, wie die Aussage Jacobs, es sei weniger wichtig, ob der Pentateuch die »Thora des Mose« sei, denn es gehe um die Frage, was die Lehre Gottes ist (12; 16) – ohne dabei von einer Verbalinspiration ausgehen zu müssen oder sich in quellenkritischen Fragen zu verirren. Ein zweites Thema sind die für forschungsgeschichtliche Arbeiten wichtigen Randbemerkungen zu Antisemitismus und Judenhass (z. B. 11; 28–29), den Jacob aus dem Londoner Exil im NS-Reich beobachten konnte und erleben musste.
Für die Pentateuchforschung enthält der Band einige gute Anregungen, die in den Einleitungen beschrieben sind. Für die Benno-Jacob-Forschung ist zusätzlich zur Erschließung und Einordnung der Quellen auch wertvoll, seinen Stil in »kürzeren« Texten mit dem der Kommentare vergleichen zu können. Auch hier finden sich, teils noch extensiver, seine fast humoristischen Polemiken und sein andererseits nüchterner Stil kombiniert mit fast an Midrasch erinnernde Formen.
Sofern es weitere Bände in dieser Reihe geben wird – was unbedingt zu unterstützen ist – sollte in der forschungsgeschichtlichen Anlage etwas ausführlicher gearbeitet werden. Es wird nicht deutlich, wer der vier Herausgeber für welchen Teil des Werkes hauptverantwortlich zeichnet, es gibt kaum Informationen zur Art der Edition, dem Fundort und Zustand der Manuskripte, der Auswahl für den Band oder sonstige archivarisch-historische Metadaten bzw. ein Verweis darauf, wo die digitalisierten Unterlagen aufzufinden sind und ob sie open access zugänglich sind. Nichts desto trotz ist der Band eine lesenswerte und wertvolle Ergänzung zum diachronen wie synchronen Pentateuchdiskurs sowie eine wichtige Ergänzung zum Stand jüdischer Forschung an der Hebräischen Bibel.
Benedikt J. Collinet